SIEGFRIED CHAROUX
1896-1967
Einer der wichtigsten österreichischen Bildhauer der Zwischenkriegszeit mit großen Erfolgen in Großbritannien
Bedeutung
Nach eigenen Angaben war Charoux für kurze Zeit Schüler in der Kunstgewerbeschule bei Anton Hanak, in den Matrikelbüchern befinden sich jedoch keine diesbezüglichen Eintragungen. 1935 emigrierte er mit seiner Ehefrau Margarethe aus politischen Gründen nach London, wo er hohe künstlerische Wertschätzung erfuhr und 1956 zum Vollmitglied der Royal Academy of Arts ernannt wurde. Werke von Charoux befinden sich in wichtigen internationalen Sammlungen, unter anderem in der Londoner Tate Gallery.
Als sein bekanntestes Werk in Österreich gilt das Lessing-Denkmal am Wiener Judenplatz, das er nach der Abtragung durch die Nationalsozialisten im Jahr 1939 in der Zweiten Republik in einer neuen Fassung wiederholte. Darüber hinaus wurde er nach 1945 von der Stadt Wien mit Denkmälern für Hugo Breitner, Bertha von Suttner und Richard Strauss sowie mit freiplastischen Arbeiten für Gemeindebauten beauftragt. Bis auf wenige abstrakte Experimente fühlte sich Charoux der figürlichen Darstellung des Menschen verpflichtet („Ich will nicht modern sein, weil ich nicht unmodern werden will”).
Sein Werk wurzelt im Expressionismus und kann in zwei Hauptströmungen gegliedert werden: Parallel zu ausdrucksstarken Plastiken in einer unverwechselbaren Formensprache („Der Prediger“, „Kämpfende Männer“ „Der Überlebende“) entstanden Arbeiten in einer ruhigen, harmonischen Auffassung, die durch Auguste Rodin, Aristide Maillol, Wilhelm Lehmbruck und Georg Kolbe beeinflusst sind. Die dazu zählenden weiblichen Akte, Mutter-Kind-Darstellungen und Werke zum Thema Jugend strahlen starke Verinnerlichung aus.
In zahlreichen Plastiken spiegelt sich Charoux‘ Liebe zur Musik wider („Der Cellist“, „Der Violinspieler“, „Der Klavierspieler“, „Trio“, „Quartett“). Im großangelegten Zyklus „Zivilisation“ setzte sich Charoux – in mitunter sarkastischer Weise – mit der Gesellschaft auseinander („Der Richter“, „Der Würdenträger“, „Der Motorradfahrer“, „Der Zeitungsleser“).
In seinen letzten bildhauerischen Arbeiten näherte er sich der existenzialistischen Plastik („Stehender Mann“). Charoux hinterließ auch ein umfangreiches malerisches und zeichnerisches Werk. Bevorzugte Themen waren Porträts, Stillleben, Landschaften (Cornwall, Gastein), die Musik sowie Studien zu Plastiken.
Literatur und Forschung zu Siegfried Charoux
Erhältlich um € 22,- in unserem Museumsshop
Gregor-Anatol Bockstefl: Siegfried Charoux. Bildhauer und Maler (Broschüre zum 50. Todestag des Künstlers), Langenzersdorf, 2017
Erhältlich um € 9,- in unserem Museumsshop
Melanie Veasey: Charoux’s Sculptures, Langenzersdorf, 2024
E-Book (PDF) zum Download:
Aufzeichnung der Online-Veranstaltung vom 26.September 2021:
Ausstellung
BIOGRAPHIE
1896 Geburt in Wien am 15. November als uneheliches Kind der Kleidermacherin Anna Charous, verwitwete Buchta
1914 Annahme des Mädchennamens seiner Mutter „Charous“
1915 Einberufung zum Dienst in der österreichisch-ungarischen Armee
1916 Schwere Verwundung an der russischen Front
1917 Anerkennung als 50-prozentiger Kriegsinvalide, Anstellung als Mechaniker in der optischen Anstalt C.P. Goerz
1918 Beteiligung am Jännerstreik; während der Berufstätigkeit Beginn mit dem Modellieren; Schauspielstudium an der Staatsakademie für Musik und darstellende Kunst
1919 Bekanntschaft mit Margarethe Treibl, Tochter einer jüdischen Kaufmannsfamilie
1922 Studienbeginn an der Akademie der Bildenden Künste bei Prof. Hans Bitterlich
1923 Nebenbeschäftigung als politischer Karikaturist (Signatur „CHAT ROUX“, die „Rote Katze“)
1924 Verlassen der Akademie ohne Abschluss und Beginn als selbstständiger Bildhauer
1926 Überlassung eines Ateliers am Fuchsenfeld (Wien 12) durch die Stadt Wien; Heirat mit Margarethe Treibl; Annahme des Künstlernamens „Charoux“
1927 Debüt mit der Plastik „Robert Blum“ auf der Kunstschau 1927
1930 „Fries der Arbeit“ (Zürcher Hof, Wien 10); Beauftragung mit der Ausführung des Lessing-Denkmals als Wettbewerbssieger unter 83 Mitbewerbern
1932 Ausstellung der Porträtfiguren „Stalin“ und „Mahatma Gandhi“ in der 53. Jahresausstellung im Wiener Künstlerhaus
1935 Enthüllung des Lessing-Denkmals am Wiener Judenplatz am 15. Juni; am 7. September Ausreise des Ehepaars Charoux aus Österreich in Richtung Großbritannien
SIEGFRIED CHAROUX
1936 Bekanntschaft mit den Labour-Politikern Lord Cecil und Michael Foot sowie mit David Astor
1938 Erste Ausstellung in London; daraufhin zahlreiche Ausstellungen und Ausstellungsbeteiligungen
1939 Abtragung des Lessing-Denkmals durch die Nationalsozialisten
1940 Zweimonatige Internierung als „Enemy Alien“ auf der Isle of Man
1941 Zeitweise Beteiligung des Ehepaars Charoux an den deutschsprachigen Propagandaprogrammen der BBC als Nachrichtensprecher
1946 Verleihung der britischen Staatsbürgerschaft
1947 Erster Besuch in Österreich nach über zehn Jahren auf Einladung der Stadt Wien; Gespräche mit dem Wiener Kulturstadtrat Viktor Matejka über die Wiederrichtungdes Lessing-Denkmals, in Folge Denkmalsaufträge (Hugo Breitner-Denkmal, Richard Strauss-Denkmal, Bertha vonSuttner-Denkmal) und Aufträge für Wiener Gemeindebauten
1948 Verleihung des großen Preises der Stadt Wien für Bildhauerei
1949 Aufnahme als korrespondierendes Mitglied der Royal Academy of Arts (A.R.A.); Lehrtätigkeit an der Royal Academy Sculpture School
1951 Monumentalrelief „The Islanders“ für das Festival of Britain, London (1952 abgetragen)
1956 Ernennung zum ordentlichen Mitglied der Royal Academy of Arts (R.A.)
1958 Verleihung des Titels „Professor“ durch Bundespräsident Adolf Schärf
1963 Offizielle Beauftragung für ein zweites Lessing-Denkmal (posthume Aufstellung 1968)1966 Verleihung der Goldenen Ehrenmedaille der Stadt Wien
1967 Tod in London am 26. April nach langer Krankheit